Der weite Himmel – Eine kurze Geschichte der Messestadt

Es gab einmal eine Zeit, da war „in die Messestadt ziehen“ das, was innerhalb der Stadt München einer Auswanderung am nächsten kam. Wenn die altgewordenen Pioniere von damals erzählen, sehe ich, was das bedeutet haben muss.

Der Himmel ist weit. Ich sehe die Planwagen ostwärts über die Schotterebene rollen. Ich sehe, wie sie sich im Kreis formieren und eine Wagenburg bilden. In der Mitte das Lagerfeuer. Frauen in langen Baumwollkleidern und mit Hauben auf dem Kopf brauen darauf den dünnen Kaffee und kochen Bohnen mit Speck. Aus der Ferne grüßt weiß die Alpenkette.

Die Sonne sinkt. Ihr Licht bricht sich in angestoßenen Emaille-Tassen und verbeulten Blechtellern an der Wasserstelle. Die Nacht ist sternenklar. Die Wolldecke um die Schultern, den Hut ins Gesicht gezogen wachen die Männer. Kein Mond am Himmel. Die Winchester liegt in ihrem Arm.

Ich sehe die Augen des Kindes. Sie sind weit offen. Der Schrei des Kojoten hat es geweckt. Oder waren es die Indianer von Trudering? Voll böser Ahnungen schleichen die um das Camp. Ihre Augen sind fast geschlossen. Der Widerschein des Lagerfeuers im Glanz ihrer Augen könnte sie verraten. Angstvoll schmiegt sich das Kind an den Leib Mutter. Halb im Traum spricht die ein paar Worte Trost. Ihre Hand streicht über das Haar des Kindes. – „Papa passt auf“.

Jahre später ist die Messestadt nicht das, woran Menschen denken, wenn sie an „München“ denken. Nicht mal die hier leben, tun das. Als ich herkam, hatte ich vom Balkon im ersten Stock den freien Blick auf die Berge. Begeistert malte ich mit dem Finger eine wilde Zackenlinie in die Luft, um meiner Frau im Wohnzimmer zu zeigen, was ich sehe. Heute blicke ich auf ein Haus. Seine Form erinnert an einen Schuhkarton.

Das Leben hier ist ziemlich in Ordnung, „normal“, könnte man sagen, gäbe es nicht noch immer spektakuläre Sonnuntergänge und den weiten Himmel. An manchen Tagen reite ich in die Stadt.

Von Gregor Kern